KULTURKAMPFABSAGE IN DER SCHULE

„Und was machst du so?“
Eine Frage, die ich immer gerne mit großer Genugtuung beantworte. Weil ich stolz bin. „Ich unterrichte an einer NMS im 15. Bezirk in Wien.“, ist dann meine Antwort. Die Reaktion ist immer die gleiche: Erstaunen, Entsetzen, Mitleid, Neugier – als wäre ich etwas Besonderes. Eine Attraktion im Zirkus, ein zweiköpfiger Löwe, eine Wassernixe, ein Unikum, von dem man unbedingt mehr erfahren möchte, um Bestätigung zu bekommen, dass „das mit den Ausländern“ ja doch ein Wahnsinn ist. Herrlich! Seit 27 Jahren arbeite ich an dieser sogenannten „Brennpunktschule“ mit Kindern, die aus sozial benachteiligten Schichten kommen.

Begriffe wie „Migrationshintergrund“, „Asylwerber“, „Flüchtlinge“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „fremduntergebrachte Kinder“, „jugendamtsbekannt“, „Parallellgesellschaft“ oder einfach nur „die“ sind jene, die unsere Schüler definieren. Wenn man nicht die Möglichkeit oder das Interesse hat, genauer hinzusehen.

Natürlich haben wir viel zu tun, diese Fülle an Kulturen, Sprachen, Traditionen und mitunter familiäre Dramen unter einen Hut zu bekommen und am Ende des Tages auch noch Bildungsstandards, Lesetests und Wissensstandserhebungen zu überleben. Natürlich kämpfen wir bei jedem Regierungswechsel um Ressourcen, die unseren Kindern mit besonderen Bedürfnissen gerecht werden. Und natürlich sind wir uns bewusst, dass der Alltag gerade mit unseren Schülern kein Spaziergang ist und uns viel abverlangt, von dem wir während unserer Ausbildung nichts wussten.

Was wir tun? Wir schöpfen unsere eigenen Ressourcen aus – und suchen sie bei unseren Schülern. Wir suchen mit ihnen gemeinsam ihre Stärken, um diese dann zu stärken. Klingt einfach, oder? Ich bin der festen Überzeugung und ich verbiete mir mittlerweile, an etwas anderes zu denken und etwas anderes zu glauben, dass jedes Kind – egal, aus welcher Bildungsschicht – seine Stärken erkennen kann. Und dabei helfen wir ihnen. Unser Angebot am Nachmittag reicht von Sport über Kreatives Gestalten bis hin zu Tanz und Chorgesang. Damit holen wir die Kinder von der Straße.

Mit meiner Tanzgruppe habe ich einige Tanztheater und Produktionen auf die Bühne gebracht, die sich wahrlich sehen lassen konnten. „Dass das mit solchen Kindern möglich ist…?!“ „Dass du dir so etwas antust!?“ Diese Fragen und Statements habe ich oft gehört und genossen – mittlerweile gehen sie mir auf die Nerven. Warum soll so etwas nicht möglich sein? Haben sie denn keine Stimme? Keinen Körper, mit dem sie sich ausdrücken? Keine Gedanken, die gehört werden wollen?

Mein Motor, der mich täglich in die Schule trägt, bei all den Sprachbarrieren, kulturellen, intellektuellen und sozialen Unterschieden, ist die Liebe zu den Kindern, die Umarmungen, die ich täglich von ihnen bekomme und die Streitereien, wer nun endlich die Tafel löschen darf….. Und ja, ich bin stolz. Ich darf an einer Schule unterrichten, an deren besonderen Herausforderungen ich zwar oft verzweifle, die Erfahrungen, die ich dadurch aber sammeln darf, mich stärken.

Ich spreche hier für viele Kolleginnen und Kollegen, die – genauso wie ich – Kinder lieben. Ungeachtet ihrer Herkunft. Ungeachtet ihrer Vergangenheit. Ungeachtet ihrer Kultur und Religion.