BEETHOVEN UND DIE MENSCHENRECHTE
Beethoven kennt jeder, jeder hat den Namen schon einmal gehört; vor Jahrzehnten hat sogar ein Hund in einem seinerzeit sehr populären Spielfilm auf den Namen Beethoven gehört.
Beethoven ist auch außergewöhnlich. Haydn, Schubert, Schumann oder Vranitzky kann man schon heißen, das sind Namen, die es auch im Telefonbuch gibt, aber Beethoven? Dann kommt noch dazu, dass dieser Beethoven, der Komponist, nicht der nach ihm benannte Hund, außergewöhnlich war in jeder Beziehung. Lebenswandel, Arbeitsweise, Begabung, Sozialverhalten, alles an diesem Menschen war außergewöhnlich, außerhalb jeder Norm. Auch was er der Mitwelt gegeben und der Nachwelt hinterlassen hat, war außergewöhnlich. Beethoven befriedigt die Ursehnsucht des neuzeitlichen, aufgeklärten Menschen, als Individuum außergewöhnlich, kein verwechselbarer oder austauschbarer Teil einer anonymen Masse zu sein. Er, Beethoven, musste auch nicht durch rezeptionsgeschichtliche Manipulation zu dem gemacht werden was er ist, er war es einfach. Doch das Schicksal des Außergewöhnlichen ist es auch, nur mehr als Metapher, als Siegel oder als Symbol wahrgenommen zu werden, mit zunehmender zeitlicher Entfernung mehr und mehr entleert, ohne Gehalt und Inhalt.
Und so sind wir nach sieben Generationen an einen Punkt gekommen, wo wir Beethoven befreien müssen von dem Beiwerk zweihundertjähriger Patinierung, die dazu führt, dass wir ihn für das Gegenteil dessen, was er uns gegeben hat, verehren. Während wir heute in Ehrfurcht erschaudern vor der pathetischen Heldenhaftigkeit seiner Klangwelten, war er doch vordem mit jeder Note seiner Musik angetreten, um den Idealen der Aufklärung eine Stimme zu verleihen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind die Inhalte, aber auch die Treibstoffe seiner Kunst.
Beethovens einzige Oper Fidelio ist die Spitze des Eisbergs, aber eben nur die Spitze, der Eisberg ist riesig. Aber diese Spitze ist der Auftrag, der in die Zukunft strahlt, und der auch seine Verpflichtung in die Zukunft sendet. Wir sind nicht das Ende der Zukunft, sondern, gemessen an der Bedeutung Beethovens, ihr äußerst holpriger Anfang. Wenn wir im Geschichtsbuch blättern, was wir als aufgeklärte Gesellschaft in Europa in den ersten zweihundert Jahren zur Erfüllung dieses Auftrages geleistet haben, dann ist unser Zwischenzeugnis kaum mit einem Genügend zu klassifizieren. Aber wir sind ja erst am Anfang der Zukunft. Wir müssen die Partituren wieder öffnen und neu lesen, um sie wieder so zu lesen, wie Beethoven sie geschrieben hat, um dann an unserer Aufgabe weiter zu wachsen und vielleicht doch noch eine bessere Beurteilung zu bekommen als die, die wir im Moment im Zwischenzeugnis vermerkt haben und die ungefähr so lautet: „Nichtgenügend, der Schüler wird auf Grund vollkommen Versagens im Fach Aufklärung und Menschenrechte von der großen Bühne des Fortschreitens der menschlichen Zivilisation verwiesen“
Es ist nicht zu spät, die Zukunft hat erst begonnen. Die Partituren sind offen, für den der sie lesen kann und will.