TRADITIONSEVOLUTION

DAS PARADIES AUF ERDEN

Es steht für mich außer Zweifel, dass wir in den Garten Eden nicht mehr zurückkehren können – und viele möchten dies auch gar nicht. Vielleicht sollte der Beitrag sogar die „Überwindung des Paradieses“ heißen, denn der Verzicht eines freien, selbstbestimmten Lebens wie im Garten Eden mutet wahrscheinlich manchen eher wie eine Hölle auf Erden an.

Für mich nicht erstrebenswert, aber nichtsdestotrotz weit verbreitet ist der regressive Wunsch, nicht nach vorne zu streben, sondern die Sehnsucht die All-Einheit, die All-Umsorgtheit des Garten Edens wieder (c) Trendvision 161 zu erfahren, in der eine übergeordnete Instanz alle Entscheidungen trifft und dem Individuum die Verantwortung abnimmt. Früher boten gesellschaftliche Hierarchien sowie der starke Einfluss von Kirche mit ihren Wertsystemen eine Kanalisation dieser Bedürfnisse an, um nicht zu sagen, sie zwangen den Einzelnen sich den jeweiligen ideologischen Korsetts anzupassen. Sofern diese aber mit positiven Werten besetzt waren, – und Teile davon waren es immer, hatte das auch etwas Gutes, da diese Vorgaben auch Sicherheit und Zugehörigkeiten, in denen sich der Einzelne entfalten konnte, vermittelten. Heutzutage haben gesellschaftliche Hierarchien oder Kirche bei weitem keine so große Relevanz.

Je nach Betrachtungsweise sind wir in der aktuellen, westlichen Konsumgesellschaft mit einem massiven Werteverlust oder einer gewaltigen Werteinflation konfrontiert. Brandentwickler und Philosoph Dr. Wolfgang Pauser meint, dass jedes noch so läppische Konsumgut, wie beispielweise Zahnpasta schon mit erstrebenswerten „Werten“ z. B. Nachhaltigkeit für die Verkaufsförderung aufgeladen wird und so dem Konsumenten bewusst oder unbewusst vermittelt, durch den Erwerb desgleichen, ein besserer, zufriedenerer oder begehrenswerterer Mensch zu sein. In dieser Reizüberflutung fallen Orientierung sowie Konzentration auf wesentliche menschliche Werte viel schwerer als früher. Diese Ausgangssituation fördert den Wunsch, das ursprüngliche Ideal der vollkommenen Geborgenheit und Erfüllung – die einstige Heimat, den Garten Eden – wieder herstellen zu wollen. Man ist dann wie es in der Psychologie genannt wird, ein Kinderrollenspieler. Das heißt, nicht ich selbst bin meines Glückes Schmied, sondern der „Übervater“ oder die „Übermutter“ in Form eines angehimmelten Menschen, Partners, Familie, des Staates, sonstiger Institutionen oder Ideologien. Sie sind für mein Schicksal und Wohlbefinden verantwortlich, sie müssen etwas ändern, damit ich die Urgeborgenheit wieder erlange – nicht ich. Auch Konsum, als Ersatzbefriedigung für die Sehnsucht nach absolutem Glück fällt unter dieses Muster. In ein psychotisch oder pathologisches Verhalten mündet diese Sehnsucht, wenn sie fundamentalistische oder radikale Ausformungen annimmt und das „ich“ zugunsten einer Gruppe oder Ideologie völlig aufgegeben wird – wie wir es unter anderem in fundamentalistischen Religionen beobachten können. Interessanterweise bezieht sich diese Wirkdynamik nicht nur auf einen einzelnen Menschen, sondern kann auch auf ganze Gruppen oder Kulturen angewandt werden.

Der Psychoanalytiker Dr. Martin Engelberg hat mir hierfür folgendes psychologisches Erklärungsmodell erläutert: Eine Entwicklungsphase des Kleinkinds wird die paranoid schizophrene Phase genannt. In dieser glaubt das Kind an die Allmacht und AllLiebe der Eltern und empfindet sich als Zentrum des Universums. Alles was außen ist macht Angst, alles was von außen Einfluss auf diesen Zustand zu nehmen scheint, ist böse. Doch im Laufe der Zeit, kann das Kind dieses Weltbild nicht mehr aufrechterhalten. Es lernt, dass die Eltern nicht unfehlbar sind und es selbst auch nicht vollkommen ist. So kann es in einen reflektierten Dialog mit seiner Umwelt treten und nach einigen weiteren Phasen zu einem selbstbestimmten, empathischen Menschen werden – darin kann ich gewisse Parallelen zur Vertreibung aus dem Garten Eden erkennen. Unter gewissen Umständen bzw. narzisstischen Verletzungen, kann ein Mensch aber in der paranoid schizophrenen Phase verharren und wird, wenn zudem ein schwacher Selbstwert vorliegt, eines Tages die „unfehlbaren Eltern“ durch andere Parameter ersetzen, wie zum Beispiel Heil (=Heilung) versprechende Ideologien. Als aktuelles Beispiel lässt sich hier der fundamentalistische Islam oder die IS Bewegung anführen. Das Individuum erfährt sich darin als wichtiger Teil eines großen, vollkommenen Ganzen. Es ist zudem von der Last der Selbstverantwortung befreit – und ist bei strikter Einhaltung der Dogmen, der Erfüllung aller Wünsche ganz nahe. Somit sind auch alle Lebensantriebsmuster raffiniert deaktiviert und durchaus starke, oft sogar ekstatische Glücksgefühle möglich. Ein wahrhaft diabolischer Gedanken- und Emotions-Cocktail, der sicher nicht die Tore zum Garten Eden öffnet – weder vor, noch nach dem Tod. Die Designerin Lilo Almog meint dazu: „Die Sehnsucht ist ein Konstitutivum der menschlichen Natur und es gibt verschiedene Wege auf dieses Bedürfnis zu reagieren. Es ist ein sehr kluges und seit Jahrtausenden wirksames System, die Erfüllung der Sehnsucht ins nicht Überprüfbare auszulagern – nämlich ins Jenseits. Die Problematik unserer Gesellschaft ist es, dass wir mit dem was unsere hochtechnisierte Zivilisation mittlerweile vermag, der Eindruck entsteht, wir könnten alles – alle Sehnsüchte – schon im Diesseits stillen. Das erzeugt innere Konflikte. Jene die ganz unten sind, streben nach Aufstieg um vermeintliches Glück zu erreichen, jene die weiter oben sind streben noch höher hinauf – doch egal wie weit oben der Mensch steht, die Unzufriedenheit bleibt und die innere Leere lässt sich nicht füllen. Das weiseste System ist daher jenes, das uns die Freimaurerei anbietet. Jeder muss sich zum Schmerz der Sehnsucht bekennen, ihn ertragen und daran arbeiten, unermüdlich und unverdrossen, sich weitestgehend an die Erfüllung anzunähern, wissend, dass man immer Lehrling bleibt.“

Neben diesen spontanen oder kalkulierten paradiesischen Zuständen, gibt es für mich aber auch die Sehnsucht oder das Streben nach Vollkommenheit. Ob man dies nun die Annäherung an das Paradies, dem Idealem, dem Schönen, dem Erhabenem – der Suche und Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach positiven Liebeserfahrungen oder wie auch immer nennt, ist einerlei. Auch ob der Prozess bewusst, wie in unseren Kreisen, oder unbewusst, durch das Streben nach einem harmonischen, erfüllten Leben, abläuft, ist nicht relevant. Wichtig scheint der gemeinsame Nenner, sich verantwortungsvoll einem Besseren annähern zu wollen. Dies gelingt nur durch Transformation der ursprünglichen Sehnsucht nach Vollkommenheit, Einheit, Heimat – wie wir sie wie schon erwähnt im Mutterleib oder als kollektive archetypische Erinnerung in der Geschichte über den Garten Eden erfahren haben. Hin zu einem Ideal, von dem wir zwar wissen, dass wir es nicht erreichen können, aber bei jedem kleinen Schritt darauf zu, Freude und Zufriedenheit empfinden – insbesondere wenn wir ihn retrospektiv betrachten. Der Paradiesauftrag lautet für mich „Lebe im jetzt – und so als ob es dein Letzter Tag wäre“! Das ist eine Bedingung um paradiesische Zustände zu erfahren – Das Leben im Augenblick und nicht in der Vergangenheit – zu dieser können wir real nicht zurückkehren und auch die Zukunft ist ungewiss – denn sie hat noch nicht stattgefunden.

Die „Causa“ Paradies hat sich als äußerst komplex herausgestellt – ist es doch ein zentraler Baustein, ja vielleicht sogar Grundstein- und Schlussstein ganzer Weltanschauungen – vielleicht sogar des Tempels der Humanität. Denn die Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es Leben nach dem Tod? ranken sich um den Garten Eden und das Paradies. Ohne sich diese Fragen zu stellen und auf eine innere Reise zu begeben, ist die Vorstellung des Paradieses gar nicht greifbar. Doch wenn man sie antritt offenbaren sich wunderbare Erkenntnisse.

KULTURKAMPFABSAGE IN DER SCHULE

„Und was machst du so?“
Eine Frage, die ich immer gerne mit großer Genugtuung beantworte. Weil ich stolz bin. „Ich unterrichte an einer NMS im 15. Bezirk in Wien.“, ist dann meine Antwort. Die Reaktion ist immer die gleiche: Erstaunen, Entsetzen, Mitleid, Neugier – als wäre ich etwas Besonderes. Eine Attraktion im Zirkus, ein zweiköpfiger Löwe, eine Wassernixe, ein Unikum, von dem man unbedingt mehr erfahren möchte, um Bestätigung zu bekommen, dass „das mit den Ausländern“ ja doch ein Wahnsinn ist. Herrlich! Seit 27 Jahren arbeite ich an dieser sogenannten „Brennpunktschule“ mit Kindern, die aus sozial benachteiligten Schichten kommen.

Begriffe wie „Migrationshintergrund“, „Asylwerber“, „Flüchtlinge“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „fremduntergebrachte Kinder“, „jugendamtsbekannt“, „Parallellgesellschaft“ oder einfach nur „die“ sind jene, die unsere Schüler definieren. Wenn man nicht die Möglichkeit oder das Interesse hat, genauer hinzusehen.

Natürlich haben wir viel zu tun, diese Fülle an Kulturen, Sprachen, Traditionen und mitunter familiäre Dramen unter einen Hut zu bekommen und am Ende des Tages auch noch Bildungsstandards, Lesetests und Wissensstandserhebungen zu überleben. Natürlich kämpfen wir bei jedem Regierungswechsel um Ressourcen, die unseren Kindern mit besonderen Bedürfnissen gerecht werden. Und natürlich sind wir uns bewusst, dass der Alltag gerade mit unseren Schülern kein Spaziergang ist und uns viel abverlangt, von dem wir während unserer Ausbildung nichts wussten.

Was wir tun? Wir schöpfen unsere eigenen Ressourcen aus – und suchen sie bei unseren Schülern. Wir suchen mit ihnen gemeinsam ihre Stärken, um diese dann zu stärken. Klingt einfach, oder? Ich bin der festen Überzeugung und ich verbiete mir mittlerweile, an etwas anderes zu denken und etwas anderes zu glauben, dass jedes Kind – egal, aus welcher Bildungsschicht – seine Stärken erkennen kann. Und dabei helfen wir ihnen. Unser Angebot am Nachmittag reicht von Sport über Kreatives Gestalten bis hin zu Tanz und Chorgesang. Damit holen wir die Kinder von der Straße.

Mit meiner Tanzgruppe habe ich einige Tanztheater und Produktionen auf die Bühne gebracht, die sich wahrlich sehen lassen konnten. „Dass das mit solchen Kindern möglich ist…?!“ „Dass du dir so etwas antust!?“ Diese Fragen und Statements habe ich oft gehört und genossen – mittlerweile gehen sie mir auf die Nerven. Warum soll so etwas nicht möglich sein? Haben sie denn keine Stimme? Keinen Körper, mit dem sie sich ausdrücken? Keine Gedanken, die gehört werden wollen?

Mein Motor, der mich täglich in die Schule trägt, bei all den Sprachbarrieren, kulturellen, intellektuellen und sozialen Unterschieden, ist die Liebe zu den Kindern, die Umarmungen, die ich täglich von ihnen bekomme und die Streitereien, wer nun endlich die Tafel löschen darf….. Und ja, ich bin stolz. Ich darf an einer Schule unterrichten, an deren besonderen Herausforderungen ich zwar oft verzweifle, die Erfahrungen, die ich dadurch aber sammeln darf, mich stärken.

Ich spreche hier für viele Kolleginnen und Kollegen, die – genauso wie ich – Kinder lieben. Ungeachtet ihrer Herkunft. Ungeachtet ihrer Vergangenheit. Ungeachtet ihrer Kultur und Religion.

LEONHARD KUBIZEK

“Wir können und sollten eine Sprache des Guten, Echten und Schönen entwickeln. Als Meinungsbildner sollten wir nicht nur mitreißen, sondern infizieren. Auf dem Verbindenden sollten wir aufbauen.”

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